Ihr werdet Euch erinnern: geplante Hausgeburt nach einer Bilderbuchschwangerschaft, keinerlei medizinische Indikation, daß irgendwas sein könnte, ein bißchen über Entbindungstermin, aber das sind ja viele andere auch, brav gewartet.
Auf natürliche Weise angeregt ging es am 2.3. um 1.30h mit leichten Wehen los. Ich halte hier den Geburtsbericht eher knapp.
Es ging eigentlich ganz gut. Allerdings zog sich die Eröffnungsphase ewig. Der Muttermund war ja schon 4 cm auf gewesen und als die Hebamme um 9.50h untersuchte war er schon bei gut 7 cm. Um 12.15h war er bei 8 cm und dabei blieb es über Stunden.
Trotz öffnung der Fruchtblase, trotzdem die Hebamme den Rand des Mumu über das Köpfchen stülpte ("reponierte"). Ich habe alles mitgemacht, Lagerungswechsel, irre Schmerzen in der Seitenlage, gebrüllt und geatmet, kaum mal ne Pause, die lang genug gewesen wäre, um Luft zu holen, kaum Zeit im Wasser verbracht, sondern an Land.
Erst um 16.15h war der Mumu vollständig geöffnet. Erklärung: ein sehr langes Kind für meinen Bauch, Hohlkreuz, Kind weit vorne getragen, dadurch drückte der Kopf nie richtig komplett auf den Mumu, sondern immer nur seitlich irgendwie, so daß der sich nicht richtig öffnete.
Die übergangsphase: schnell und problemlos, Austreibungsphase genauso.
Um 16.40h spürte ich das Kind rausgucken und wollte dann auch endlich wieder ins Wasser. Dort kam um 17.07 unser Sohn Kieran aus mir heraus, ich wollte mich entspannt zurücklehnen, bekam ihn hoch- und er war leblos!
Dieses Bild, diesen Moment werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen, dieses bläulich-weiße, schlappe Wesen!
Wir ihn panisch angesprochen, geklopft, gerieben, Hebamme saugte ihn ab, dann nahm sie ihn mir weg, legte ihn auf einer Wickelunterlage aufs WC und fing mit Beatmung und Herzdruckmassage an, ich stand am Beckenrand, die Nabelschnur zwischen den Beinen, hielt 'ne Rotlichtlampe drüber, Michael rief den Notarzt.
15 Minuten später kam dieser, bis dahin keine Lebenszeichen von Kieran.
Wir nabelten ab, sie nahmen ihn mit ins Schlafzimmer, wo sie ihn intubierten, reanimierten, was weiß ich alles.
Ich bekam die Nachgeburt im Wohnzimmer auf einer Gummimatte liegend. Ich bat irgendwann die Hebamme, doch mal nachzuschauen und sie kam mit der Nachricht: Im Moment haben sie ihn!
Da flossen unsere ersten Tränen.
Kieran wurde im Inkubator per Hubschrauber ins Zentralklinikum geflogen, ich wollte zu meinem Kind und so wurden wir im Krankenwagen hinterhergefahren.
Um 21.30h durften wir endlich zu Kieran (ich hatte ne Untersuchung, wurde stationär aufgenommen...).
Da lag unser Kleiner an den Schläuchen, ein wunderschönes Kind und es sah einfach nur schlecht um ihn aus.
Ich fühlte mich so mies, weil es mir so gut ging - nur ne kleine Labienschürfwunde, ansonsten fit wie nochwas, und da lag mein Baby todkrank und ich konnte gar nix machen.
Was passiert war kam im Lauf der Zeit mit den Untersuchungen und in vielen Gesprächen für uns so heraus:
Kieran hat sich in mir mit B-Streptokokken infiziert.
Wie diese überhaupt zu ihm gelangen konnten ist ein Rätsel, denn die Fruchtblase war sowas von fest, daß die Hebamme sie irgendwann öffnen mußte, damit die Geburt weitergehen konnte.
30% aller Frauen haben diese Streptokokken ganz normal im Scheidenmilieu. Zu einer Infektion des Kindes kommt es normalerweise, wenn überhaupt, nur dann, wenn der Blasensprung mehr als 24h vor der Geburt stattgefunden hat. Dann wird der Frau zu Beginn der Geburt im KH ein Antibiotikum gegeben, das auf das Kind übergeht und außerdem wird dem Kind dann auch gleich was gegeben.
Aber in unserem Fall - keinerlei Anzeichen bei mir oder vor der Geburt, es ist und bleibt ein Rätsel.
Diese Infektion hat aller Wahrscheinlichkeit nach zur Asphyxie geführt, das ist Sauerstoffmangelversorgung. Und zwar noch unter der Geburt.
Kierans Herztöne waren die ganze Zeit hervorragend, 5-6 Wehen vor Geburt haben wir sie zum letzten Mal gehört, er hat auch noch zwischen den Wehen gestrampelt.
Aber die Nabelschnur hat nicht mehr pulsiert, als er herauskam.
Die Asphyxie war so schlimm, daß alle sogenannten Schockorgane betroffen waren, d.h. die sauerstoffabhängigen Organe: Gehirn, Lunge, Magen-Darm-Trakt, Nieren. Betroffen heißt in dem Fall: keine Funktion.
Wenn es auch kein Trost ist - zumindest stand dann fest, daß wir keinerlei Schuld haben, wir haben nichts falsch gemacht, es gab keinerlei Grund für uns, etwas anders zu machen, die Hausgeburt ist nicht dran schuld, es wäre auch im KH nicht anders gelaufen, außer daß er, in einem KH mit Kinderintensivstation, schneller in den richtigen Händen gewesen wären, die aber nichts hätten ändern können (da alles schon vorher passiert war). Sprich: Schicksal!
Es gab erst Verschlechterungen wie Blutungen mit Gerinnungsproblemen äußerlich und in den erwähnten Organen, dann Verbesserungen, aber halt nach wie vor keine Hirnströme und auch keine Eigenatmung.
Sehr schnell schon schlug unser Hoffen und Bangen und Sorgen um in große Trauer. Wir durften Kieran dann schon bald auch raus aus dem Bett und auf den Arm bekommen und es war trotz allem eine wunderschöne Zeit mit ihm.
Schon da hatte er etwas engelhaftes an sich, nur bei ihm fanden wir Ruhe, wir verbrachten soviel Zeit wie nur irgendwie möglich bei ihm.
Wir waren so voll Stolz und Liebe und Trauer, alles zugleich. Ich pumpte ab und er bekam meine Milch per Sonde. Ich durfte ihn wickeln, eincremen, ich durfte ganz schlicht die Mama sein. Und ich spürte/spüre so arg, daß ich auch gar nix anderes sein wollte/will, daß es mich fast zerriß/zerreißt!
Am 7.3. hielten wir eine wunderschöne Taufzeremonie ab mit den Großeltern, Paten, der Hebamme und dem anwesenden Pflege-/ärztepersonal.
Es folgten noch 2 Tage, an denen wir hin- und hergerissen waren zwischen Abwarten - der Abschied sollte am Freitag stattfinden, weil noch eine gewisse Zeitspanne zur Beobachtung nötig war - und der Angst, unser Engel könnte vorher durch die Hintertür davonfliegen, weil die Nieren schließlich endgültig den Dienst eingestellt hatten.
Einerseits war es nervenzermürbendes Warten, andererseits genossen wir jede Minute, die wir noch mit unserem so geliebten Kind haben durften.
Gott sei Dank, daß wir nicht die Entscheidung treffen mußten, Kieran war von selbst auf dem Weg zum Engel und als er auch beim wiederholten Versuch nicht von selbst atmete, war alles klar.
Die Großeltern und der Pate nahmen Abschied, als er noch an den Schläuchen hing und gingen dann raus. (Wir wußten nicht, wie schnell es letztendlich gehen würde.)
Kieran war nochmal mit 100%igem Sauerstoff versorgt worden, damit wir wirklich Abschied vom lebenden Kind nehmen konnten. Dann wurde er abgemacht, wir machten schnell ein paar Fotos von ihm ohne die Schläuche, dann bekam ich ihn auf den Arm und wir gingen schnell ins Abschiedszimmer.
Michael und ich durften ganz ungestört unser Kind einschlafen lassen.
Der Arzt kam zweimal rein und prüfte den Herzschlag - und war erstaunt, denn das kleine Herzchen schlug wacker fast noch eine ganze Stunde weiter.
Wir ließen dann unsere Angehörigen reinholen, umhüllt von ganz viel Liebe wurde Kieran dann ein Engel, gegen 21h flog er uns davon. Sein Teddybär blieb als Aufpasser bei ihm.
Wir sind unendlich dankbar, daß wir diese Woche hatten, um nichts in der Welt möchten wir die Zeit mit ihm missen!
Wir haben unheimlich schnell unheimlich viele Gefühle und auch Gefühlswechsel erlebt, manche davon hätten wir nie für möglich gehalten.
Wir vermissen Kieran schrecklich und wissen noch überhaupt nicht, wie wir weiterleben sollen. Wir sind nun wieder zuhause und leben die Unwirklichkeit der Normalität, alles ist falsch und sinnlos. Ich vermisse ihn schon allein körperlich unsagbar, ich könnte schreien vor Schmerzen.
Wenn einem so etwas passiert, denkt man, man ist damit allein auf der Welt. Aber weit gefehlt! Kaum daß man in der Situation ist, hört man es von überall her. Laut Hannah Lothrop in "Gute Hoffnung - jähes Ende" stirbt in Deutschland jedes 133. Baby durch Fehl-, Früh- oder Totgeburt oder überlebt den ersten Lebensmonat nicht!!! |